Jul 28

Der Fall Mollath – Der Versuch einer Erklärung mit interessanten rechtlichen Aspekten

Der Fall Mollath beschäftigt nunmehr die Öffentlichkeit seit Monaten. Es wurden ein Untersuchungsausschuss eingerichtet, vor welchem Herr Mollath auch persönlich Stellung nehmen konnte, die bayerische Justizministerin wies öffentlichkeitswirksam einen Wiederaufnahmeantrag an, in Talk-Shows diskutieren Menschen über die Ungerechtigkeit des Falles und selbst in den Abendnachrichten ist dieser Fall zu einem Thema geworden.

Doch Fakt ist, dass Herr Mollath weiterhin in einer therapeutischen Einrichtung eingewiesen ist, und dies obwohl nunmehr zwei weitere Entscheidungen in seinem Fall ergangen sind. Eine durch das Oberlandesgericht Nürnberg als Beschwerdegericht, eine Andere durch das Landgericht Regensburg als Wiederaufnahmegericht. Hier soll der Versuch unternommen werden, die aktuelle Problematik kurz und verständlich aus Sicht eines an dem Verfahren nicht Beteiligten darzustellen.

I. Grundsituation

Nach diesseitigem Kenntnisstand wurde Herr Mollath im Jahr 2006 durch das Landgericht Nürnberg-Fürth wegen der Vorwürfe von Körperverletzungshandlungen an seiner Ehefrau und der Sachbeschädigung an dutzenden Autoreifen wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen, aber wegen der Erwartung der Begehung weiterer gemeingefährlicher Straftaten in die Psychiatrie eingewiesen.

Herr Mollath kämpft wohl seitdem um eine Entlassung aus der Psychiatrie auch im Rahmen der von Seiten des Gesetzes zwingend vorgeschriebenen jährlichen Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung in einer therapeutischen Einrichtung.

Parallel dazu haben sich allerdings in der jüngeren Vergangenheit Erkenntnisse ergeben, dass die von Herrn Mollath geäußerten Schwarzgeldtransfers der Hypovereinsbank, bei welcher seine damalige Ehefrau gearbeitet hat, zutreffend sind. Gerade diese Schwarzgeldgeschäfte waren aber angeblich durch die bisherigen Gutachten als „Hirngespinste“ des Herrn Mollath eingestuft worden und auch zumindest Mitbegründung für die Krankheitsdiagnose auf welcher die Unterbringung beruht.

Nunmehr liegen also zwei parallel laufende Verfahren vor. Einerseits die sich jährlich wiederholende Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung in der Psychiatrie durch das örtlich zuständige Landgericht Bayreuth (Strafvollstreckungskammer) und andererseits das Wiederaufnahmeverfahren, welches sowohl von der Verteidigung des Herrn Mollath als auch durch die Staatsanwaltschaft auf Anweisung der bayerischen Justizministerin betrieben worden ist. In Letzterem ist im Jahr 2013 eben das Landgericht Regensburg zuständig für derartige Anträge gegen ursprüngliche Urteile aus dem Landgerichtsbezirk Nürnberg.

In ersterem Fall wurde wohl durch das Landgericht Bayreuth die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Letztendlich handelt es sich hier um ein kontinuierlich nicht öffentliches Verfahren, so dass über den Inhalt und die Entscheidungsgründe des Gerichts nur spekuliert werden kann.

II. Aktuelle Entscheidung(en)

Anders liegt es aber aufgrund der Pressemitteilungen der Gerichte bei dem angestrebten Wiederaufnahmeverfahren.

1. Befangenheitsentscheidung des OLG Nürnberg (1 Ws 333/13 WA)

Gegen einen Richter der für das Wiederaufnahmeverfahren zuständigen Strafkammer des Landgerichts Regensburg war durch die Verteidigung ein Befangenheitsantrag gestellt worden, welchen die Strafkammer in strafprozessual korrekter Art und Weise ohne Beteiligung des abgelehnten Richter zurückgewiesen hat.

Gegen diese Entscheidung war die Verteidigung noch während des Wiederaufnahmeverfahrens in Beschwerde zu dem hierfür zuständigen Oberlandesgericht Nürnberg gegangen. Diese Beschwerde wurde nunmehr durch das Oberlandesgericht als unzulässig, also „formal“ unrichtig, verworfen.

Die Begründung ist strafprozessual für den geneigten Leser interessant.

Innerhalb eines „normalen“ Strafprozesses kann ein Richter wegen Befangenheit mittels Antrag abgelehnt werden. Wenn dieser Antrag sodann zurückgewiesen wird, kann hiergegen nicht isoliert in einem parallelen Beschwerdeverfahren vorgegangen werden, weil ansonsten das laufende Strafverfahren vollständig unterbrochen werden müsste. Dies würde vor allem bei Haftsachen zu ungerechten Verzögerungen und weiteren prozessualen Diskussionen hinsichtlich der angeordneten Untersuchungshaft führen, welche der Gesetzgeber nach § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO vermeiden wollte. Insofern können derartige den  Befangenheitsantrag ablehnende Entscheidungen des Gerichts nur innerhalb des Rechtsmittels gegen das Urteil an und für sich angefochten werden.

Für den Fall des Wiederaufnahmeverfahrens fehlt es aber an einer derartigen Regelung, weshalb sich die Verteidigung wohl gezwungen sah, eine isolierte Beschwerde einzureichen.

Diese Beschwerde wurde nunmehr durch das Oberlandesgericht als unzulässig zurückgewiesen, da beide Strafsenate des Oberlandesgerichts Nürnberg die Rechtsgedanken über die Anfechtung derartiger Gerichtsentscheidungen auch für das Wiederaufnahmeverfahren als gegeben ansehen und daher § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend anwenden.

Diese Rechtsprechung wird wohl, sofern nunmehr gegen die „Hauptentscheidung“ des Landgerichts Regensburg vorgegangen werden sollte, einer höchstrichterlichen Überprüfung unterzogen, deren Ergebnis eine durchaus wichtige Rechtsfortbildung bedeuten wird. Aus meiner Sicht sind nämlich Gründe für eine isolierte Anfechtbarkeit durchaus innerhalb eines Wiederaufnahmeverfahrens gegeben. Bei einer Wiederaufnahme liegt nämlich bereits eine rechtskräftige Entscheidung gegen einen Verurteilten vor, so dass der Beschleunigungsgrundsatz aus dem ursprünglichen Verfahren in den Hintergrund rücken könnte.

2. Entscheidung des LG Regensburg (7 KLs 151 Js 4111/13 WA und 7 KLs 151 Js 22423/12 WA)

Jedenfalls konnte aufgrund der Entscheidung des OLG Nürnberg hinsichtlich der Verwerfung der Befangenheitsbeschwerde das Landgericht Regensburg eine Entscheidung hinsichtlich der beiden Wiederaufnahmeanträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft fällen.

Und gerade diese Entscheidung wird derzeit heftig diskutiert, wobei viele Diskussionsteilnehmer sich bewusst werden sollten, dass zunächst die volle Aktenlage bekannt sein sollte.

Hierbei ist aber zuerst notwendig, dass man sich über den immanenten Grundsatz des Wiederaufnahmeverfahrens bewusst wird, welcher vereinfacht gesagt lautet, dass nur bei Erkenntnissen, die nach dem ursprünglichen Urteil erfolgt sind, ein Wiederaufnahmeantrag von Erfolg gekrönt sein kann ( § 359 StPO).

Der geneigte Leser wird nunmehr den Wortlaut des § 359 StPO zu Rate ziehen und sich fragen, wie man zu diesem Grundsatz gelangen kann. Dies ist ganz einfach erklärt:

Ob eine Urkunde unecht oder verfälscht war, wird sich oftmals erst nach der Hauptverhandlung herausstellen (§ 359 Nr. 1 StPO).

Gleiches gilt für die Falschaussage eines Zeugen, da deren Wahrheitsgehalt erst im Nachhinein mittels eines etwaigen Strafverfahrens gegen die Zeugen definitiv festgestellt werden kann (§ 359 Nr. 2 StPO).

Dieser Grundsatz gilt auch für die definitive Erkenntnis über die Amtspflichtverstöße eines erkennenden Richters (§ 359 Nr. 3 StPO).

Der Wortlaut des § 359 Nr. 4 StPO impliziert bereits, dass zunächst ein zivilrechtliches Urteil vorgelegen haben muss, auf welches das Strafurteil des Wiederaufnahmeantrages „beruht“, wobei sodann ein weiteres zivilrechtliches Urteil folgen muss, welches das erste zivilrechtliche Urteil – mithin nach dem Strafurteil – aufhebt.

§ 359 Nr. 5 StPO spricht sogar explizit von „neuen Tatsachen oder Beweismitteln“ was bedeutet, dass diese erst nach dem ursprünglichen Urteil zu Tage getreten sein müssen.

Auch die in § 359 Nr. 6 StPO beschriebene Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kann erst nach dem ursprünglichen strafrechtlichen Urteil erfolgt sein, da der EuGH denklogisch erst nach dem strafrechtlichen Urteil angerufen werden konnte.

Was hat also das Landgericht Regensburg entschieden?

Das Landgericht Regensburg hat die Wiederaufnahmeanträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft als unzulässig verworfen. Die Frage ist, welche Antragspunkte durch die Anträger vorgebracht worden sind.

Zunächst war wohl eine Zweitschrift eines ärztlichen Attestes als unechte Urkunde (§ 359 Nr. 1 StPO) gerügt worden, da der damals die Zweitschrift ausstellende Arzt zwar die in Frage stehende ursprüngliche ärztliche Untersuchung vorgenommen hat, diese aber damals als „in Vertretung“ unterzeichnet hat. Dies kam wohl daher, dass dieser approbierte Arzt zum ursprünglichen Zeitpunkt innerhalb seiner Facharztausbildung in einer anderen ärztlichen Praxis tätig war. Daher der Zusatz „i.V.“. Zum Zeitpunkt der Zweitschrift hatte dieser Arzt wohl schon seine eigene Praxis. Dies alles war wohl bekannt und unstrittig. Insofern ging das Landgericht Regensburg davon aus, dass der Arzt Attest und Zweitschrift ausgestellt hat, welcher auch die Untersuchung vorgenommen hat. Daher liege keine unechte Urkunde vor. Sofern dies zutrifft, wäre aus Sicht des Autors dies Argumentation in sich schlüssig und beanstandungsfrei.

Allerdings konnte auch der Schwarzgeldbericht der Hypovereinsbank aus Sicht des Landgerichts Regensburg keine Berücksichtigung finden, da sich das Landgericht Nürnberg-Fürth bereits mit der Möglichkeit derartiger Schwarzgelder auseinandergesetzt habe. Wenn dies so zuträfe, müsste aber aus meiner Sicht die nunmehrige definitive Erkenntnis über derartige Schwarzgelder als neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr.4 StPO gesehen werden. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob man als erkennendes Gericht von einer Hypothese oder einer gesicherten Erkenntnis bei der Urteilsbegründung ausgeht. Näheres kann aber wohl nur durch Aktenkenntnis beleuchtet werden.

Zudem lag offenbar eine neue Aussage eines Zeugen vor, welcher die Motivlage der Ehefrau aus dem ursprünglichen Verfahren in einem Lichte zu Gunsten des Herrn Mollath berücksichtigen sollte. Angeblich hatte sich aber bereits das Landgericht Nürnberg-Fürth in seiner Entscheidung mit der Motivlage der Ehefrau beschäftigt. Insofern sieht wohl das Landgericht Regensburg hier keine neue Tatsache. Diesbezüglich dürfte aber auch ein etwaiges Rechtsmittel interessant werden. Wie bei dem Argument zuvor hatte angeblich das ursprünglich erkennende Gericht nicht die Möglichkeit, die Aussage des neuen Zeugen in seine Bewertung der Motivlage der Ehefrau miteinzubeziehen. Auch hierbei gilt, dass eine genauere Beurteilung nur durch vollständige Aktenkenntnis erfolgen kann.

Gleiches Argument dürfte hinsichtlich der ursprünglichen Begutachtung des Herrn Mollath durch die wohl nunmehr erfolgten Angaben des Dr. W. gelten. Das ursprüngliche Gutachten hatte angeblich angegeben, dass weitere Personen in logischer Weise in das (krankhafte) Konstrukt des Herrn Mollath einbezogen werden würden. Wenn sich aber nunmehr Angaben als wahr herausstellen würden, würde die Grundlage des Gutachtens angegriffen werden. Zur Vermeidung einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ sollte daher wohl im Rahmen eines etwaigen Rechtsmittels eine genauere Überprüfung dieser Argumentation des Landgerichts Regensburg vorgenommen werden.

Die auch durch die Anträge gerügten und durch das Landgericht Regensburg gleichfalls gesehenen Sorgfaltsmängel des ursprünglichen Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth haben wohl nach Auffassung nicht die Intensität einer Amtspflichtverletzung nach § 359 Nr. 3 StPO. Dieser Punkt wird in einem Rechtsmittelverfahren hoffentlich genauer durchleuchtet, da auch hierbei eine gewisse Rechtsfortbildung und/oder Rechtssicherheit für kommende Wiederaufnahmeverfahren geschaffen werden kann, inwieweit in einem Wiederaufnahmeverfahren die ordnungsgemäßen Pflichten eines erkennenden Gericht beurteilt werden.

Letztendlich wird auch innerhalb des möglichen Rechtsmittels zu prüfen sein, welche Anforderungen innerhalb des „Annahmeverfahrens“ an einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen sind. Dies resultiert daraus, dass das Wiederaufnahmegericht zunächst die Zulässigkeit des Antrages überprüft, was hier offensichtlich negativ ausgefallen ist. Mithin prüft das Gericht zunächst nur, ob (neue) Argumente vorgebracht worden sind, welche eine (neue) Sicht auf die Dinge rechtfertigen. Erst wenn dies positiv verbeschieden wird, werden zunächst weitere mögliche Beweiserhebungsschritte eingeleitet und sodann in ein neues Strafverfahren übergeleitet.

III.

Insofern bleibt die Beurteilung des Falles Mollath spannend. Es sind vor allem in dem in Deutschland juristisch schwierigen Wiederaufnahmeverfahren einige interessante Fragen an die Beurteilungskriterien für das Wiederaufnahmegerichtes gestellt oder noch innerhalb eines möglichen Rechtsmittels zu stellen. Nach den bisherigen hier wohl zu Tage getretenen Beurteilungskriterien würde aus meiner Sicht nämlich weiterhin die bisherige gerichtliche Praxis gestärkt werden, dass Wiederaufnahmeverfahren nahezu unmöglich sind, was gleichfalls nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen sein kann.

Das Gesetz gibt nach meiner Meinung eben durchaus auch die rechtliche Sichtweise her, dass innerhalb des Zulässigkeitsverfahrens über einen Wiederaufnahmeantrag eine Schlüssigkeitsprüfung dahin vorgenommen wird, wie eine Urteilsbegründung im Falle der Erwiesenheit der vorgetragenen „neuen“ Tatsachen ausfallen kann.

Ansonsten würden jedwede potentiellen urteilsrelevanten Erkenntnisse, welche nach Rechtskraft erfolgen, wie oben gezeigt, als unzulässig verworfen werden können. Ob dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht, darf als fraglich erachtet werden.

Robert Hankowetz, Regensburg

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

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